Ein Wort der Warnung: Diese Seite ist sehr lang, schlecht geschrieben, noch schlechter gegliedert und enthält kein einziges Bild. Hier habe ich sehr detailliert die Erfahrungen meiner ersten Stunde Wirtschaftsdeutsch aufgeschrieben. Ich bin niemandem böse, der sich das nicht alles durchliest. Vielleicht findet es aber trotz allem doch jemand interessant.
Für den noch unwahrscheinlicheren Fall, dass jemand diesen Erfahrungsbericht in Ruhe lesen und dafür herunterladen oder gar ausdrucken möchte, habe ich eine schöner formatierte Fassung im PDF-Format erstellt.
Meine erste Unterrichtsstunde an der Universität Nanchang fand am Donnerstag, 01.09.2011 statt. Von 8 bis 10 Uhr unterrichtete ich in Raum 614 des Maschinenbau-Gebäudes Wirtschaftsdeutsch. Ich habe mich entschieden, diese erste Unterrichtsstunde mit Vor- und Nachbereitung detailliert festzuhalten. Vielleicht interessiert es den Einen oder Anderen, eventuell kann ich es auch später noch einmal für irgendetwas gebrauchen.
Das Buch
Ich habe für Wirtschaftsdeutsch von der Universität ein Buch (商务德语教程 [Shāngwù déyǔ jiàochéng (Business-Deutsch Kurs)] - Business Deutsch) bekommen, welches sich beim Durchlesen mehr und mehr als Katastrophe entpuppt.
Positiv ist, dass das Buch sehr aktuell ist (Mai 2011). Die neue Rechtschreibung wurde bis auf einige Flüchtigkeitsfehler umgesetzt, und alle Währungsangaben sind in Euro. Dem Buch liegt eine Mp3-CD bei, auf der sich die Hörtexte finden.
Negativ fällt zunächst einmal die Gliederung auf. Sie ist dermaßen unübersichtlich und unlogisch, dass ich sie mir auf einem extra Blatt übersichtlich abschreiben und sie dann erst einmal selbst verstehen musste. Vermutlich haben die Autoren mit der Gliederung begonnen und dann versucht, sie ohne Rücksicht auf den Inhalt das ganze Buch über beizubehalten. Es gibt drei Lernfelder, die sich ihrerseits in zwei Lernsituationen unterteilen, welche jeweils auf zwei Einheiten aufgeteilt sind, die ihrerseits jeweils fünf Teile umfassen. Ich möchte gar nicht wissen, wie es den Studenten damit ergeht. Am besten ist für sie vermutlich, die Gliederung komplett zu ignorieren und das Problem dem Lehrer zu überlassen.
Dann wäre da der Inhalt zu nennen. Zu jeder Lerneinheit gibt es eine Vorbereitung (Vokabelliste zum Ausfüllen), Höraufgaben (dazu später mehr), einen zumeist furchtbaren Lesetext und „Kompetenztipps“, dann eine Simulation der Arbeitsszene und eine Nachbereitung.
Sinnvoll sind hierbei die Simulationen (Rollenspiele) und die Nachbereitungen (Zusammenfassungen), wenn man sie ein wenig an das Niveau der Studenten anpasst. Die Lesetexte sind zumeist Texte, die offensichtlich aus dem Internet kopiert und unverändert übernommen wurden. Rechtschreibfehler finden sich hier genau so wie Wörter, die auch ich nur halb verstehe und zunächst nachschlagen muss. Die Krönung sind allerdings die „Kompetenztipps“. Sie bestehen in der ersten Einheit aus Überschriften aus eine Sekretariatszeitschrift („Die besten Tipps, wie sie Ihren Chef ab sofort noch mehr Entlasten. Von A wie Ablage bis Z wie Zeugnisformulierungen.“) ohne irgendeinen Sinn oder Zusammenhang. Immerhin ist eine Internetquelle angegeben. Quellenangaben fehlen bei den meisten anderen Texten völlig. Die „Kompetenztipps“ und der Lesetext für die interkulturelle Kommunikation bestehen zum größten Teil aus Stereotypen verschiedener Nationalitäten und einem Quiz dazu. Sollte man so etwas nicht abbauen? Warum bin ich eigentlich hier?
Hinzu kommen die Hörtexte auf CD. Auch wenn die meisten Hörtexte in Lehrbüchern wohl nicht besonders geistreich sind, so etwas habe ich noch nie erlebt. Die Sprecher sind zwar Muttersprachler, sprechen allerdings mit der Betonung und Euphorie der telefonischen Zeitansage. Es gibt keinerlei Anflüge von Humor, und es macht einem schon fast Angst wenn Herr Müller seiner Praktikantin vorschlägt, mit ihr „ein mal runter“ zu Herrn Waldner zu gehen. Und startet der PC etwa nicht, weil sich noch eine Diskette im Laufwerk befindet? Man weiß es nicht. Ach so, der Stecker ist nicht eingesteckt. Ja, schönen Dank dafür.
Insgesamt wurde das Buch anscheinend mit relativ wenig Aufwand erstellt. Nun gut, ich muss mir irgendwie damit behelfen. In den 14 Wochen, die ich mit den Studenten der beiden Wirtschaftsdeutsch-Kurse habe, muss ich das Buch irgendwie schaffen. Und ich ahne bereits, dass es im nächsten Semester eine Neuauflage davon geben wird. Ich hoffe jedoch, dass die Verantwortlichen vorher von irgendeinem Blitz getroffen werden. Oder ihnen der Boiler im Bad auf den Kopf fällt, was immerhin noch ein bisschen wahrscheinlicher ist.
Vorbereitung
Mit der Vorbereitung tue ich mich ziemlich schwer. Am Abend vorher überlege ich lange, wie ich die zwei Stunden aufteile, und auch, wie ich die 14 Wochen aufteile, die mir zur Verfügung stehen. Die letzte Woche muss ich für die Prüfung verwenden, bleiben noch 13. Ich entscheide also, dass ich sofort mit der ersten Einheit anfange, um am Ende noch Puffer für eine Vorbereitungsstunde und Fragen zur Prüfung zu haben. Zur Stundenaufteilung habe ich mir überlegt, dass ich die erste Stunde für eine Vorstellungsrunde und den gruseligen Lesetext verwende, um dann in der zweiten Stunde die Studenten in Gruppen jeweils eine der Simulationsaufgaben bearbeiten und vorspielen zu lassen. Ich bin mir relativ unsicher, ob ich vielleicht viel zu viel Zeit dafür eingeplant und am Ende nichts weiter zu tun habe. Ich habe absolut keine Erfahrung und muss es einfach so versuchen; im Notfall muss ich eben improvisieren. Didaktisch äußerst wertvoll.
Ich bereite gegen Mitternacht noch eine Liste vor, in die sich alle Studenten mit Namen, Namen in Pinyin-Umschrift bzw. westlichem Namen und, wenn sie möchten, Emailadresse eintragen sollen. Ich habe vor, damit jeweils Email-Verteiler zu erstellen, um meine Kurse per Mail erreichen zu können.
Mit gemischten Gefühlen gehe ich viel zu spät schlafen. Den Wecker habe ich mir auf 6:45 gestellt, damit ich, möglichst mit Frühstück, pünktlich im Klassenraum sein kann.
Die Unterrichtsstunde
Aus 6:45 wird allerdings nichts, weil sich bereits ab 6:00 Massen von Menschen lärmend durch die Straßen schieben. Sie praktizieren eine Art kollektiver Morgengymnastik; zu furchtbar übersteuerter Musik ist jeder eingeladen, mitzumachen. Nein danke, doch nicht um diese Zeit. Ich ziehe die Vorhänge zu, aber an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Also stehe ich auf und esse ein paar Kekse. Hinter meinem Haus bedrohen einige Frauen einen Baum. Sie laufen in verschiedenen Haltungen immer wieder um ihn herum. Immerhin tun sie dies leise, und der Baum wird es wohl überleben. Um 7:30 nehme ich meine Sachen und gehe los, nicht ohne vorher schwarzen Tee in meine Teetasse gefüllt zu haben.
Der Campus ist voller Menschen. Studenten mit Frühstück in der Hand gehen lachend und ohne Hektik gemeinsam zu ihren Kursen, alte Menschen sitzen mit kleinen Kindern und Frühstück auf Bänken. Ich frage mich, wie ich diesen Lärmpegel jeden Morgen bisher verschlafen konnte. Wie immer werde ich von vielen Leuten beobachtet. Einige identifizieren mich „sicherlich“ als Englischlehrer.
Im Maschinengebäude angekommen, muss ich die Treppe hoch in die sechste Etage. Oben laufe ich natürlich erst einmal in die falsche Richtung, aber ich habe ja noch gut 15 Minuten Zeit bis 8 Uhr. Ich betrete so selbstverständlich wie möglich den Raum, und stelle meine Teetasse auf das Lehrerpult. Irgendwer hat dort bereits einen „Schwamm“ und eine neue Packung Kreide hingestellt, Die gesamte Ablage des Pults ist zwar voll davon, aber vielleicht will ich ja viel schreiben? Nein, eigentlich nicht.
Einige Studentinnen sind bereits da und mustern mich so unauffällig wie möglich. Ich schaue auf die Uhr. 7:50. Ich packe meine vorbereiteten Zettel und Hefte, sowie die Katastrophe von Wirtschaftsdeutsch-Buch aus und arrangiere alles auf dem Pult. Weil alle Fenster offen stehen, zieht es ganz furchtbar und ich muss das Papier mit meinem Handy beschweren, damit es nicht zum Flugblatt wird. 7:51. Ich überlege mir, dass ich vorher noch mein Kaugummi loswerden sollte, und mache mich auf die Suche nach einem Mülleimer. Es gibt aber Keinen, nicht einmal auf der Toilette. Also ab ins Taschentuch damit. 7:55. Der Raum füllt sich immer weiter. Einige Studenten grüßen mich, andere schauen sofort weg und suchen sich einen Platz. Die Plätze direkt vor mir bleiben lange leer. Ich würde mich da wohl auch nicht hinsetzen. 7:58. Zwei Studentinnen nehmen zwei der drei Plätze direkt vor mir ein und packen ihre Bücher aus. Ich schreibe „Business-Deutsch“ an die Tafel, einfach weil ich finde, dass da irgendetwas stehen sollte. Dann gehe ich zur Tür und nehme die beiden halben Ziegelsteine weg, die die Tür am Zufallen hindern sollen. Sie wäre aber auch so nicht zugefallen, weil sie dringend mal geölt werden könnte. Ich schließe die Tür und stelle mich hinter mein Pult. Jetzt klingelt es. Toll, ich muss nicht mal selbst auf die Uhr gucken. Andererseits ist das alles relativ straff organisiert.
Teil 1: 8:00 – 8:50
Jetzt erst fällt mir das Geschlechterverhältnis im Raum auf: Der Kurs besteht fast nur aus Studentinnen. Ganze 4 Männer zähle ich (von 38). Sie haben sich in die rechte hintere Ecke verkrümelt und wirken im Gegensatz zu den meiste Studentinnen eher alarmiert als gespannt, als ich sie angucke.
Es wird schlagartig leise im Raum. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ich nutze die unerwartete Stille und stelle mich vor. Meinen vollen Namen schreibe ich an die Tafel. Ich verliere bewusst kein Wort darüber, wie ich angeredet werden möchte. Ich bin gespannt, wie die Studenten dieses Problem lösen. Als ich sage, wie alt ich bin, schlägt mir ein erstauntes Raunen und einige überraschte Ausrufe entgegen. Ich frage, was sie geschätzt hätten. Keine Antwort, nur verwunderte Blicke. Na gut, dann nicht. Ich erkläre, dass wir unter starkem Zeitdruck stehen, weil wir wegen des Praktikums am Ende des Semesters nur 14 statt 19 Wochen haben. Einige nicken.
Jetzt geht die Tür auf und eine Lehrerin guckt in den Raum, zählt offensichtlich die Studenten und geht dann wieder. Ich winke ihr nach und schließe die Tür mit absichtlich genervter Geste, und löse damit eine Menge Gelächter aus.
Ich bitte jetzt darum, Namensschilder zu basteln und teile dafür Papier aus. Außerdem gebe ich meinen vorbereiteten Kurslisten-Zettel herum und erkläre, dass die Angabe der Emailadresse freiwillig ist. Wieder nicken. Das funktioniert ja besser als gedacht.
Ich sage noch, dass ich bei Fragen oder Problemen jederzeit per Mail zur Verfügung stehe, und schreibe meine neu erstellte Mailadresse an die Tafel. Eine Studentin meldet sich und fragt nach meiner QQ-Nummer (Chinesischer Instant-Messenger, ähnlich wie MSN oder ICQ, aber mit wesentlich mehr Funktionen). Damit habe ich nun gar nicht gerechnet und weiß auch nicht so richtig, wie ich die Frage verstehen soll. Ich kann sie sowieso nicht auswendig, also vertröste ich sie auf die nächste Stunde und verweise noch einmal auf meine Emailadresse.
Nun leite ich eine kurze Vorstellungsrunde ein. Mit Namen, Hobbys, Herkunft, was auch immer sie möchten. Ich fange ganz rechts an. Die Aufgabe wird von den meisten souverän gelöst. Ich verstehe nicht alles, aber darum geht es mir auch nicht. Alle sagen wie sie heißen und wo sie herkommen, einige erzählen mir noch mehr und viele heißen mich in Nanchang willkommen und sagen, dass sie sich auf das Semester mit mir freuen. Das ist wesentlich mehr als ich erwartet hätte. Eine Studentin ist Klassensprecherin. Ich weiß manchmal (bei allzu überschwänglichen Begrüßungen) nicht, wie ich reagieren soll, also bedanke ich mich einfach und gebe das Wort an den/die Nächste/n.
Ich erkläre nun, was ich für Probleme mit dem Buch habe. Um das Ganze ein wenig aufzulockern, lese ich übertrieben monoton und überbetont und mit steinerner Miene den Anfang eines Hörtextes vor. Viele lachen. Die Nachricht scheint angekommen zu sein. Ich bitte die Studenten darum, es besser zu machen. Wieder lachen die meisten; ich verstehe das als „Ja“.
Ich betone noch, dass es in diesem Buch keinen Funken von Humor gibt, was allerdings sowohl privat als auch beruflich sehr wichtig sei. Ich bitte sie darum, auch dies besser zu machen. Zum Schluss meiner „Ansprache“ wünsche ich allen ein erfolgreiches Semester und steige in den Unterricht ein.
Ich frage, wer sich auf die heutige Einheit vorbereitet, Vokabeln herausgesucht oder die CD angehört hat. Sofortige ehrliche Antwort: Niemand. Ich lächele wissend und nicke, um zu zeigen, dass ich nichts Anderes erwartet hatte, und alle lachen. Ich erkläre, dass wir uns jetzt den Lesetext ansehen werden, und ich ihn gern vorgelesen haben möchte. Zustimmendes Gemurmel.
Wie aus meinem Chinesischunterricht gewohnt, lasse ich der Reihe nach einzelne Studenten einen oder zwei Sätze vorlesen. Auch hier verstehe ich nicht alles. Einige Studentinnen lesen sehr flüssig und mit guter Betonung, andere bleiben immer wieder an Wörtern hängen. Außerdem fällt ein gewisses Gefälle zwischen den Geschlechtern auf. Die vier Herren der Schöpfung in der letzten Reihe lesen sehr leise und vorsichtig; auch insgesamt ist ihr Niveau wesentlich niedriger als das der meisten Studentinnen. Der Text ist allerdings auch eine Katastrophe und enthält Wörter, die auch ich nur passiv kenne und auch nie einem Chinesen an den Kopf werfen würde. Angesichts des Textes finde ich das Leseergebnis sehr gut. Abkürzungen wie „etc.“, „d.h.“ und „z.B.“ machen Schwierigkeiten, ebenso die vielen eingestreuten englischen Wörter. Außerdem wechselt der Text von der Sie- in die Du-Form, was mir bei der Vorbereitung gar nicht aufgefallen ist. Am Ende frage ich, wie viel vom Text verstanden wurde. Betretenes Schweigen. Zum Glück muss ich nicht sagen, dass bei mir auch nicht wesentlich mehr angekommen ist. Der Text ist wirklich völlig unmöglich. Ich fasse ihn zusammen, so gut ich kann und stelle dabei fest, dass er in sich nicht mal besonders viel Sinn macht.
Die Aufgabe dazu lautet, aufzuschreiben, was eine/n gute/n Assistent-in/en ausmacht. Ich frage, ob sie das diskutieren oder mir zum nächsten Mal aufschreiben wollen. Wieder betretenes Schweigen. Ich wiederhole die Frage. Die Ersten scheinen sich für letzteres zu entscheiden, wie ich in den chinesischen Kommentaren herauszuhören meine. Eine Studentin meldet sich und fragt, ob ich nicht von meinen Erlebnissen hier in Nanchang erzählen könnte. Auch damit habe ich nun gar nicht gerechnet, aber es scheint daran ein gewisses Interesse zu bestehen. Also gut, ich gebe die Aufgabe als Hausaufgabe auf und erzähle so humorvoll wie möglich von meiner Tour nach Nanchang, meiner Zeit in Shenzhen, dem Wetter in Berlin, dem Wetter hier, davon, dass mir warm ist, den geheimnisvollen Eiern aus dem Supermarkt, meiner schmutzigen Wohnung und meinen „Problemchen“ mit einigen Gepflogenheiten hier. Sogar die Komik dabei scheint anzukommen, immer wieder lachen fast alle, und das obwohl ich mich bemühe, dabei möglichst keine Miene zu verziehen. Kurz vor dem Klingeln entlasse ich die Studenten in ihre wohlverdiente Pause.
Teil 2: 9:00 – 9:50
In der Pause gibt mir die Klassensprecherin einen fertig ausgefüllten Zettel zum Unterschreiben. Sie erklärt mir, dass die Lehrer diese Zettel immer unterschreiben müssten. Also setze ich meine Unterschrift darunter.
Ich beschließe in der Pause, nicht weiter auf den Lesetext einzugehen, sondern stattdessen meinen eigentlichen Plan weiter abzuarbeiten. Ich skizziere mit Strichmännchen, Denkblasen und Pfeilen die beiden zur Auswahl stehenden Aufgaben an der Tafel.
Zu Stundenbeginn sitzen alle Studenten wieder auf ihren Plätzen. Eine Studentin verabschiedet sich zu Beginn der Stunde mit der Begründung, jemanden aus dem Krankenhaus abholen zu müssen. Als wenn sie dazu meine Erlaubnis bräuchte.
Diesmal fasse ich selbst die beiden Aufgaben zusammen, lasse die Studenten dann aber selbst noch einmal lesen. Die Aufgaben können nur aus diesem Buch stammen. Ich zitiere:
1. Sie möchten ein wichtiges Dokument fotokopieren, aber Sie wissen gar nicht, wo der Kopierer steht und wie dieser funktioniert. Frau Schneider ist Ihre Kollegin, Sie möchten sich mit ihr darüber beraten. 2. Als Praktikant brauchen Sie viele Büroartikel. Frau Schell ist verantwortlich dafür. Sie müssen jetzt mit ihr darüber sprechen. Manche Artikel kann Frau Schell leider nicht liefern. Sie sollen sie geduldig überreden, die Artikel möglichst Zeitnah zu liefern.
Ich bitte die Studenten, sich zu zweit zusammenzufinden und jeweils einen der beiden Dialoge vorzubereiten. Diese Anweisung muss ich mehrmals wiederholen, aber dann funktioniert es. Ich gehe durch die Reihen und weise übrig gebliebenen Studenten Gruppen zu. Es ist auch eine Dreiergruppe entstanden, und ich bin schon gespannt was sie wohl produziert.
Die Atmosphäre wird ein wenig lauter, ist aber hochkonzentriert. Studenten blättern in mitgebrachten Papier-Wörterbüchern oder tippen auf elektronischen Wörterbüchern. Eine Gruppe fragt mich, was sie aus dem Kopier-Dialog machen soll. Wenn ich das mal wüsste. Meiner Meinung nach lässt sich aus beiden Situationen nicht viel herausholen. Mein Tipp ist deshalb, ihren Humor zu benutzen. Die vier Herren der Schöpfung haben sich inzwischen hinter einem Wall aus Handys, Wörterbüchern und sonstigem Papier verschanzt und schreiben geschäftig auf einer herausgerissenen Notizbuchseite.
Nach zehn Minuten frage ich, wie weit die Gruppen sind. Noch niemand ist fertig. Also schön, machen wir 15 Minuten daraus. Ich ahne bereits, dass wie nicht alle Gruppen anhören können. Unterdessen stellt sich heraus, dass einer der Herren keine Gruppe hat. Ich biete ihm an, mit ihm zusammen einen Dialog seiner Wahl zu spielen. Der Gedanke daran ließ ihn schon zusammenzucken, aber er fügte sich dann seinem Schicksal. Genau wie ich, damals im dritten Semester Chinesisch. Wir sind nun einmal irgendwie doch alle gleich.
Nach 15 Minuten versuche ich mit wachsender Verzweifelung, einzelne Gruppen nach vorn zu holen, um den Anfang zu machen. Es will mir nicht so recht gelingen. Einige haben große Angst davor. Diese Situation scheint nicht oft vorzukommen. Letztendlich schaffe ich es doch. Zwei mutige Studentinnen tragen ihren Dialog vor der Tafel vor, und ernten danach Applaus vom gesamten Kurs. Der Dialog selbst ist recht gut mit einigen groben Fehlern, aber ich halte mich mit den Korrekturen zurück. Zunächst einmal möchte ich zeigen, dass die Situation nicht schlimm ist und niemand bloßgestellt wird. Die Dreiergruppe liefert eine großartige schauspielerische Leistung ab. Manche Dialoge sind kurz, manche einige Minuten lang. Einige erklären sehr detailliert die Funktionsweise eines Kopierers, vom Papier bis hin zum großen grünen Start-Knopf. Insgesamt sprechen viele Studenten noch sehr leise. Der Eindruck kann sich aber auch dadurch verstärken, dass sich meine Erkältung inzwischen auf meine Ohren gelegt hat. Besonders die Herren verstehe ich kaum. Sie haben einen sehr starken Akzent und sprechen wirklich extrem leise. Ich überlege, ob ich sie in den nächsten Stunden nach vorn setze, aber eigentlich wollte ich nicht so stark in den Kurs eingreifen.
Es klingelt, bevor alle Gruppen ihre Dialoge geschafft haben. Nahezu sofort stürmt der nächste Kurs den Raum. Ich schaffe es gerade noch, die Hausaufgaben noch einmal anzusagen. Als ich meine Sachen zusammenpacke werde ich von verschiedenen Studenten verabschiedet, noch einmal willkommen geheißen oder verschiedene Dinge gefragt.
Auf meinem Weg nach unten spricht mich eine unbekannte Gruppe Studenten sofort auf Deutsch an. Sie fragen, ob ich Deutschlehrer bin, wo ich herkomme und ob ich ein bisschen Chinesisch kann. Sie wirken richtig begeistert, als ich antworte, dass ich hier als Deutschlehrer arbeite. Wieder etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Auf Chinesisch beraten sie dann, ob sie mich wohl im Unterricht haben werden. Eine Studentin meint dann aber sehr bedauernd, dass bei ihnen wohl eine Frau im Stundenplan steht.
Ich verabschiede mich von der Gruppe und gehe nun nach Hause, um meine erste Unterrichtserfahrung hier in Nanchang aufzuschreiben, bevor ich anfange, Details zu vergessen.
Fazit
Ich denke, dass mir diese erste Stunde recht gut gelungen ist, auch wenn ich nicht alles geschafft habe. Das wichtigste war mir, bei den Studenten einen einigermaßen guten ersten Eindruck zu hinterlassen, und ich denke das habe ich geschafft. Damit hoffe ich, den Grundstein für eine effektive Zusammenarbeit gelegt zu haben, auf den wir dann gemeinsam aufbauen können.
Dass mir – auch privat – so viel Interesse entgegengebracht wird hätte ich nicht erwartet. Sicherlich ist die Lehrer-Schüler-Beziehung in China eine ganz Andere als in Deutschland, aber ich werde mich hier noch einmal informieren müssen, wann ich wie reagieren sollte.
Ich überlege auch, was ich in folgenden Kursen anders machen sollte.
Insgesamt war meine „Ansprache“ zu Anfang sicherlich zu lang. Andererseits gibt sie den Studenten aber vielleicht die Chance, sich an meine Stimme, meine Aussprache und meinen Ausdruck zu gewöhnen. Ich denke, dass ich das Konzept für den nächsten Wirtschaftsdeutsch-Kurs morgen beibehalten werde. Vielleicht werde ich nach zehn Minuten die ersten Gruppen nach vorn holen müssen, damit wir alles schaffen. Wichtiger als das ist mir jedoch auch hier der erste Eindruck bei den Studenten.
An dem Lesetext kann ich ja doch nichts ändern, da müssen alle Beteiligten wohl durch. Da ich allerdings auch die Prüfungen vorbereite und durchführe, könnte ich demnächst frühzeitig auf andere Texte ausweichen, die ich dann vorher kopiere, wenn sie sich im Buch mal wieder selbst übertroffen haben.